Barrierefreiheit in der Politik: Erste Bundestagsrede in Gebärdensprache
Erst am Anfang
Stellen Sie sich vor, Ihre Stimme wird gehört - aber nicht verstanden. Wie wäre das für Sie, wie würden Sie sich dabei fühlen? Eine ungewohnte Situation? Für etwa 80.000 gehörlose Menschen, die laut dem Deutschen Gehörlosen-Bund in Deutschland leben, gehört das zum Alltag. Es wurde – auch auf Druck der Behindertenverbände - in den letzten Jahrzehnten bereits viel getan, um die sogenannte Barrierefreiheit zu erreichen, die die Einschränkungen für behinderte Menschen so gering halten soll wie möglich. Am Ende sind wir noch lange nicht. Mit der ersten Bundestagsrede in Gebärdensprache, die Heike Heubach am 10. Oktober 2024 hielt, ist jedoch ein weiterer Meilenstein erreicht.
Geschichtsträchtig
Die bayerische Abgeordnete der SPD, die den Wahlkreis Augsburg-Land und Aichach-Friedberg vertritt, war erst im März 2024 für einen Kollegen in den Bundestag nachgerückt. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Zu diesem Thema hielt sie nun auch ihre erste Rede, in der sie auf die Dringlichkeit hinwies, Städte klimafreundlich zu gestalten. Der (stille und laute) Beifall galt beidem: der inhaltlichen Schlagkraft ihrer Rede sowie der Tatsache, dass Heike Heubach an diesem Tag Geschichte schrieb. Sie ist die erste Abgeordnete, die jemals im Plenarsaal am Pult gebärdet hat. Eine Simultandolmetscherin übersetzte ihre Rede in Gebärdensprache für die Zuhörer*innen im Plenarsaal in gesprochene Sprache.
Barrierefreier Bundestag
Ebenso stehen Heike Heubach Dolmetscher*innen zur Seite, die für sie die Debatten in Gebärden übertragen und so verständlich machen. Für Zwischenfragen wird sie ebenso durch die Dolmetscher*innen unterstützt. Nach ihrer Berufung in den Bundestag erklärte Heike Heubach gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Endlich konnte ich die Debatten live verfolgen. Nicht aus der Distanz im Fernsehen, sondern wirklich mittendrin zu sein, war ein besonderes und aufregendes Gefühl.“ Damit weist die 44-jährige Parlamentarierin auf die Live-Übertragungen des Deutschen Bundestages hin, die für gehörlose Menschen aufbereitet werden. Über das Parlamentsfernsehen kann man die Debatten donnerstags und freitags am Vormittag zur Kernzeit (das heißt: ab 9 Uhr) in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln streamen.
Barrierefreiheit in allen Bereichen
Es ist eine traurige Tatsache: Erst in den letzten Jahrzehnten wurde ein Bewusstsein für die Belange behinderter Menschen geschaffen. Am 1. Mai 2002 trat das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft – mit dem Ziel, eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen sowie die gleichberechtigte Teilhabe dieser Personengruppe am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten. Behinderten Menschen sollte dadurch eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglicht werden. Am 19. Juli 2016 wurde die Bundesfachstelle Barrierefreiheit eingerichtet, die in erster Linie Bundesbehörden bei der Planung und Umsetzung von Barrierefreiheit entsprechend des BGG berät, aber auf Wunsch auch Privatunternehmen zur Seite steht. Da sich die Schwierigkeiten, auf die Menschen mit Behinderung treffen, nicht auf nur auf die reale Welt beschränken, reichen die Beratungsthemen vom baulichen Zugang bis hin zur barrierefreien Information und Kommunikation.
Gesetzliche Grundlagen und Pflichten für barrierefreie Websites
Jüngste Bemühungen streben danach, auch das Internet für Menschen mit jeglichen Einschränkungen zu einem barrierefreien Ort zu machen. Insbesondere in Zeiten, in denen viele Prozesse nur über das Internet zu vollziehen sind, ist ein funktionierender Zugang zu Webseiten kein Nice-to-have, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Aus diesem Grund greift im Juni 2025 eine gesetzliche Pflicht zur Barrierefreiheit für Webseiten und Apps, das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es beruht auf dem European Accessibility Act (EAA) und wurde am 16. Juni 2021 verabschiedet. Der EAA soll die Kommunikation für den betroffenen Personenkreis erleichtern und umfasst daher viele Bereiche des täglichen Lebens wie Geldautomaten und Bankdienstleistungen, Computer, Telefone und TV-Geräte, Telekommunikationsdienstleistungen, Transport und den Onlinehandel.
Talente statt Einschränkungen
Das Ziel der Integration aller Menschen – unabhängig von deren individuellen Einschränkungen – ist noch lange nicht erreicht. Sicher würde auch bei jedem einzelnen von uns ein Perspektivwechsel helfen: Weg von den Behinderungen, auf die ein Mensch in unserer Gesellschaft trifft, hin zu den Talenten, die diese Person in die Gesellschaft einbringt. Bei Heike Heubach wäre das beispielsweise ihre Begeisterungsfähigkeit, wie Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt in der NDR Talkshow am 27. September 2024 im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt noch bevorstehende Bundestagsrede bemerkt hat:
"Ich glaube, Sie sind seit Langem die erste Bundestagsabgeordnete, die ein solches Temperament im Gesicht hat und ein solches Temperament auch in der Körpersprache, notgedrungen, dass Sie vielleicht auch eine der ersten Bundestagsabgeordneten sind, die mal wieder frei redet im Bundestag - weil es gibt ja Minister, die selbst 'Guten Abend, meine Damen und Herren' ablesen mittlerweile. Aber vielleicht halten Sie, wahrscheinlich, die seit Langem beste Rede, die in Ihrer Fraktion geredet und die im Bundestag geredet worden ist."
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