Die Lücke im Datensystem Gender Data Gap
- führt zu Ungerechtigkeiten
- ist diskriminierend
- kostet Menschenleben
- ist nicht "normal"
- dürfte es nicht geben
Was ist die Norm? Ist es etwa der durchschnittliche Mann? Es ist leider ein Fakt, dass bei wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und medizinischen Datenerhebungen die unterschiedlichen Geschlechter nicht gleichermaßen berücksichtigt werden. Dieses Phänomen wird als Gender Data Gap bezeichnet. In der Konsequenz werden Frauen in vielen Bereichen benachteiligt.
Die Folgen der Datenlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich recht plastisch anhand der Boyfriend-Jeans erklären: Sie passt den Frauen nicht so ganz perfekt – denn sie ist eigentlich ja auch für Männer gemacht. Während dieser Effekt bei der Boyfriend-Jeans gewollt ist, kann diese Herangehensweise bei vielen Dingen unseres Alltags nervig bis lebensbedrohlich sein. Nervig, weil etwa das Handy zu groß für Frauenhände ist – lebensbedrohlich, weil viele Frauen zu klein sind, um richtig über das Lenkrad hinweg durch die Windschutzscheibe zu blicken. Die Gefahr eines Verkehrsunfall ist für Frauen also wahrscheinlicher als für Männer.
Gesundheit gleich Männergesundheit?
Es ist ein fadenscheiniges Argument: Der Körper der Frau ist im Laufe eines Monats starken Hormonschwankungen unterworfen. Der Körper des Mannes hingegen kennt keine solche Veränderungen, sondern verhält sich relativ stabil. Das macht ihn natürlich ideal für medizinische Untersuchungen, biologische Analysen sowie pharmazeutische Studien. In der Folge sind die aufgezeichneten Daten zu Erkrankungen, Symptomen und Behandlungen hauptsächlich anhand von männlichen Probanden erhoben worden. Basis der westlichen Medizin ist bis heute der 75–80 Kilogramm schwere, 1,80 Meter große, weiße Mann. Während für Medikamententests also häufig auf Männer zurückgegriffen wird, gelten die daraus abgeleiteten Einnahmeempfehlungen in den meisten Fällen genauso für Frauen. Die erhöhte Gefahr von Nebenwirkungen für das weibliche Geschlecht wird dabei in Kauf genommen.
Paradebeispiel Herzinfarkt
Auch in der Ausbildung von Mediziner*innen werden Lerninhalte vermittelt, die zum größten Teil Männer betreffen. So werden beispielsweise als Symptome, die auf einen Herzinfarkt hinweisen, Bruststechen und ausstrahlende Schmerzen in den linken Arm gelernt und abgefragt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Die aufgezählten Symptome gelten für Männer, bei jüngeren Frauen kündigt sich ein Herzinfarkt durch Bauchschmerzen, Schweißausbrüche, Kurzatmigkeit, Übelkeit und Müdigkeit an. Daraus ergibt sich für Frauen ein höheres Sterberisiko bei einem Herzinfarkt – auch wenn Männer öfter von diesem medizinischen Notfall betroffen sind.
Eine geschlechtergerechte Medizin will daher auf eine umfassendere Datenerhebung und -auswertung hinwirken – aber nicht nur das. Auch Männer können von diesem modernen Ansatz profitieren. Denn die Erforschung von sogenannten Frauenkrankheiten wie Osteoporose oder Depressionen bei Männern hinkt ebenso hinterher, was für den männlichen Teil der Bevölkerung fatale Folgen haben kann.
Gender Mainstreaming in der Politik
Die Bestrebung nach Geschlechtergerechtigkeit
Definition
Gender Mainstreaming ist ein Konzept, das darauf abzielt, die Geschlechterperspektive in allen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen zu berücksichtigen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern. Es geht darum, sicherzustellen, dass die Bedürfnisse, Interessen und Erfahrungen von Frauen und Männern gleichermaßen berücksichtigt werden und dass bestehende Geschlechterungleichheiten abgebaut werden. Der Begriff wurde 1995 auf der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen (VN) geprägt.
Gesetzliche Lage
Das Konzept des Gender Mainstreamings ist in nationalen und internationalen Gesetzestexten verankert. Laut deutschem Grundgesetz ist der deutsche Staat dazu verpflichtet, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern aktiv zu fördern.
Koalitionsvertrag 2021–2025
"Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt erreicht werden. Wir werden die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie des Bundes weiterentwickeln, u. a. mit einem Gleichstellungs-Check künftiger Gesetze und Maßnahmen. Wir werden den Gender Data Gap schließen, z. B. im medizinischen Bereich. Wir setzen uns in der EU und international für eine intersektionale Gleichstellungspolitik ein. So kommen wir etwa der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) nach. Dazu gehört auch eine gleichstellungsorientierte Jungen- und Männerpolitik."
Gleichstellungsbericht
In jeder Amtszeit erstattet die Bundesregierung einen Bericht über die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland. Eine Sachverständigenkommission im Auftrag der Regierung erstellt dieses Gutachten, das den aktuellen Status der Gleichstellung beschreibt und Empfehlungen für Maßnahmen gibt. Das Expertenteam entwickelt dabei eine Leitidee für die zukünftige Gleichstellung in Deutschland.
In Zeiten Künstlicher Intelligenz: Wie vorurteilsfrei sind Algorithmen?
Die Tatsache, dass in vielen Datensätzen Frauen unterrepräsentiert sind oder ihre Daten ungenau erfasst werden, führt dazu, dass Algorithmen verzerrte Ergebnisse produzieren. Dieser Missstand kann Geschlechterstereotype verstärken oder sogar diskriminierend sein. Ein Beispiel hierfür sind Algorithmen zur Bewerberauswahl, die auf historischen Daten basieren. Wenn diese Daten eine Verzerrung zugunsten männlicher Bewerber aufweisen, können die Algorithmen unbewusst weibliche Bewerberinnen benachteiligen, indem sie deren Chancen auf Einstellung verringern.
Um die Objektivität von Algorithmen sicherzustellen und den Gender Data Gap zu überwinden, ist es wichtig, Datensätze sorgfältig zu überprüfen und zu verbessern. Nur so lässt sich eine ausgewogene Repräsentation gewährleisten. Darüber hinaus müssen Algorithmen so entwickelt und trainiert werden, dass sie Empfindlichkeiten gegenüber Geschlechterbias erkennen und korrigieren können. Denn Algorithmen sind nicht vorurteilsfrei, sie haben nur andere Vorurteile als Menschen. Das Wisssen darum erfordert eine bewusste Bemühung seitens der Entwickler*innen, Ethikexpert*innen und Regulierungsbehörden. In enger Zusammenarbeit müssen diese sicherstellen, dass ihre Algorithmen fair und gerecht sind. Die Funktionsweise von Algorithmen muss für die Nutzer*innen transparent und nachvollziehbar sein, um auch multiplen Diskriminierungen vorzubeugen. Denn solange dies nicht gewährleistet ist, bieten große Datenmengen gleich mehrere potenzielle Ansatzpunkte für Diskriminierung - nicht nur im Hinblick auf Geschlecht, sondern auch Alter, Religion, Herkunft, Hautfarbe etc. Da die Daten auch bloß ein Abbild der Realität darstellen, wiederholen sie die sozialen Ungerechtigkeiten und können so die gesammelten Vorurteile nur wieder reproduzieren.
Nicht nur in der Körpergröße und im Körpergewicht unterscheidet sich der typische Mann von der typischen Frau - auch der Körperbau weist einige Unterschiede auf. Werden diese in Crash Tests nicht ausreichend berücksichtigt, können Unfälle für Frauen ein höheres Verletzungsrisiko mit sich bringen. Durch die schwächere Hals- und Nackenmuskulatur verletzen sich Frauen beispielsweise bei einem Stoß von hinten eher als Männer. Um den geschlechterspezifischen Verschiedenheiten Rechnung zu tragen, wurden mittlerweile weibliche Crash Test Dummies entwickelt. Eine weitere Möglichkeit, die Gender Data Gap in diesem Bereich auszugleichen, sind Computersimulationen – die jedoch nicht so exakt die Realität widerspiegeln.
Der Datenpool, auf den zur Schulung von Spracherkennungssoftware zurückgegriffen wird, enthält in erster Linie männliche Stimmen. Das führt dazu, dass beispielsweise die Spracherkennungssoftware von Google männliche Stimmen mit 70 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit erkennt als weibliche Stimmen, wie eine Studie der University of Washington zeigte. Daraus können brenzlige Situationen entstehen: etwa wenn beim Programmieren des Navis im Auto aufgrund von Fehlversuchen die Fahrerin vom Geschehen auf der Straße abgelenkt wird.
Grob geschätzt und sehr vereinfacht dargestellt besteht die Menschheit etwa zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen. Demnach scheint es nur logisch, dass man beiden Geschlechtern in öffentlichen Einrichtungen auch dieselbe WC-Größe zur Verfügung stellt. Aber das ist zu oberflächlich gedacht. Denn man hat dabei nicht die Zeit berücksichtigt, die Mann und Frau jeweils für den Toilettengang benötigen. Frauen, die auch oft noch Kinder bei sich haben und diese bei ihrer Notdurft unterstützen, brauchen im Schnitt zwei- bis dreimal so lange wie Männer. Außerdem befinden sich in Männertoiletten häufig Urinale. Weil diese platzsparender sind als Kabinen, können sich mehrere Männer gleichzeitig dort erleichtern.
Wenn Frauen in Großraumbüros mit Klimaanlage frieren, so muss es nicht unbedingt deren Schuld sein. Ursache kann eine Berechnung aus den 1960er-Jahren sein, bei der die ideale Bürotemperatur ermittelt wurde. Das Problem: Dabei ging man von einem 40-jährigen Büroangestellten aus, der 70 Kilo wiegt. Dass dieser einen ganz anderen Stoffwechsel als die Durchschnittsfrau hat, hat man dabei vernachlässigt. Die Folge: Frauen frösteln in Büros, deren Temperatur anhand dieser Empfehlung eingestellt ist. Für sie müsste es ungefähr vier bis fünf Grad wärmer sein, damit sie bei Wohlfühltemperatur die komplette Aufmerksamkeit ihrer Arbeit widmen können.
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