Lebensbedrohlich - Rassismus im Gesundheitswesen
Menschen erfahren in unterschiedlichen sozialen Räumen Diskriminierung und Rassismus. Dies kann in der Öffentlichkeit, wie etwa auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, sein. Es passiert im Kontakt mit Banken, Ämtern und auch im Gesundheitsbereich – bei Arztbesuchen oder im Krankenhaus. Ein im November 2023 vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) veröffentlichter Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) mit dem Titel „Rassismus und seine Symptome“ zeigt auf, dass Rassismus und Benachteiligung von Schwarzen, muslimischen oder asiatischen Personen im Gesundheitswesen keine Seltenheit sind - mit unabsehbaren Folgen.
Gefährdung der physischen und mentalen Gesundheit
So erzählt der Sozialwissenschaftler und Leiter der Geschäftsstelle Rassismusmonitor am DeZIM Dr. Cihan Sinanoğlu bei „BBQ – Dem BlackBrownQueeren Podcast“, dass bei einer Befragung Menschen mit Migrationshintergrund geäußert hätten, dass sie aus Angst vor Rassismus und Diskriminierung den Gang zum Arzt hinauszögerten. „Diese Verzögerung kann massive Effekte auf die Gesundheit dieser Menschen haben“, betont Dr. Cihan Sinanoğlu. So werden akute Beschwerden nicht behandelt und zusätzlich könnten sich diese unter Umständen andauernden Ängste vor Rassismuserfahrungen auch auf die mentale Gesundheit in Form von Depressionen oder Angststörungen auswirken.
Ungleicher Zugang zu Arztpraxen
In einem Experiment des DeZIM wurden fiktive Terminanfragen an 6000 unterschiedliche Arztpraxen verschickt. Diese Anfragen hatten unterschiedliche fiktive Namen als Absender*in. Dabei handelte es sich um Namen, die in der Türkei, in Nigeria oder in Deutschland weit verbreitet sind. Diese Namen wurden variiert versehen mit den Angaben „gesetzlich“ oder „privat“ versichert, mit oder ohne Doktortitel. Das Ergebnis: Bei den türkisch- oder nigerianisch-stämmigen Namen verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, eine positive Rückmeldung auf die Terminanfrage zu bekommen, um neun Prozentpunkte. „Damit konnten wir nachweisen, dass ein ungleicher Zugang in Bezug auf die Terminfindung stattfindet“, erläutert Dr. Cihan Sinanoğlu.
Rassistische Stereotypen im Gesundheitssektor
Auch heute noch kursiert im medizinischen Bereich der Begriff „Morbus Mediterraneus“, der abwertend eine Überempfindlichkeit bei Menschen aus dem Mittelmeerraum, aber auch allgemein bei People of Color beschreiben soll. „Diese Scheindiagnose kann dazu führen, dass keine Medikation stattfindet und das kann gefährliche Effekte auf die Gesundheit dieser Menschen haben“, so Cihan Sinanoğlu. Dahinter stecken rassistische Stereotypen, die von Generation zu Generation weitergetragen werden. So auch die Zuschreibung, schwarze Menschen seien schmerzresistenter als weiße.
Zum Thema Rassismus aufgrund der Hautfarbe findest du hier in diesem Blog den interessanten Artikel „Colourism: Wenn unbedeutende Äußerlichkeiten eine Rolle spielen“.
Einseitige medizinische Norm
Zudem funktionieren medizinische Standardgeräte nicht zuverlässig auf dunkler Haut. Viele Ärztinnen und Ärzte haben nie gelernt, dass manche Krankheiten bei schwarzen Menschen anders zu diagnostizieren sind als bei Weißen. Die medizinische Norm aus dem Lehrbuch ist nach wie vor der weiße, westeuropäische Mensch. Für viele Menschen kann das die Gefährdung ihrer Gesundheit bedeuten.
Strukturelles Problem empirisch belegt
Im Rahmen der Studie des NaDiRa in Interviews hätten sich, so Dr. Sinanoğlu, schwarze Frauen vermehrt dazu geäußert, dass ihnen ungefragt bei Arztterminen eine HIV-Testung angeboten worden sei. „Das sind kolonial-rassistische Zuschreibungen, bei denen in die Hautfarbe eines Menschen eine Krankheit eingeschrieben wird.“ Dies seien keine Einzelfälle, wie die empirischen Befunde belegten. „Wir haben es hier mit einem strukturellen Problem zu tun.“ Umso wichtiger ist es, dass das Thema nun durch den Bericht des NaDiRa verbreitet Aufmerksamkeit erlangt hat.
Der umfassende Themenkomplex ‚Gesundheit und Rassismus‘ sei nach Dr. Sinanoğlu besonders relevant für die Rassismus-Forschung, weil sich in der Gesundheitsversorgung gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelten und sich Machtdynamiken zeigten. Gesundheit habe einen hohen Stellenwert, weil sie die Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe sei.
Was ist der NaDiRa?
Der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor wurde 2020 mit dem Ziel aufgesetzt, auf Basis unterschiedlicher Datenquellen dauerhaft verlässliche Aussagen über Ursachen, Ausmaß und Folgen von Diskriminierung und Rassismus in Deutschland treffen zu können. Bisher ist die Datenlage dazu lückenhaft. Hintergrund für den Anstoß waren die migrationsfeindlichen, antisemitischen, rassistischen Anschläge in Kassel, Halle und Hanau sowie die Ermordung von Georg Floyd in den USA und die darauffolgenden internationalen Proteste. Darauf aufbauend sollen effektive Maßnahmen gegen Rassismus entwickelt werden.
Titelbild: shutterstock/Andrew Rybalko
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